Dienstag, 28. August 2012




14.23 Uhr.
"Klar", sagte mir der Neurologe in der Reha verständnisvoll. "Am Anfang werden Sie sicher das Gras wachsen hören."
Und rückblickend auf die letzten Monate war es eigentlich erstaunlich ruhig. Ich mein, - klar waren da ab und an Geräusche und ich hatte recht erfolgreiche Strategien, sie zum Verstummen zu bringen.
Aber jetzt gerade, jetzt überrollt es mich. Die Ratio kapituliert vor dem Geräusch von wachsendem Gras.
Weil das alles schon mal so war. In der Zeit vor dem Schlaganfall, in der die Ratio immer für alles eine  Erklärung fand. Für das Kribbeln im Kopf und die Schmerzen an den immer gleichen Stellen. Oder den leichten Schwindel und das Ohrensausen: Der niedrige Blutdruck wirds halt sein. Oder das Wetter. Sowieso eigentlich immer das Wetter.

Wieder versuche ich es wenigstens, mich zu beruhigen. Man will ja schließlich kein Hypochonder sein. Aber diesmal vertrau ich mir selbst nicht mehr. Die Ärzte und du, ihr habt da schon mal fatale Schlüsse gezogen, sagt diesmal die lautere Stimme mahnend.
Aber wenn die Neurologin dir keinen Termin gibt, sondern sagt: "Gehen Sie in die Klinik das abklären!" - dann hebelt die Ratio halt doch aus. Nicht gewohnt, dass jemand das bisschen Schwindel und Kribbeln so ernst nimmt. Nicht von Ärzten, erst Recht nicht von mir. "Wird schon nichts sein, kommen Sie mal nächste Woche", hatte ich mir erhofft. Aber ich soll in die Klinik fahren. Jetzt gleich.

Und da ist sie also. Die Angst, vor der ich Angst hatte. Was, wenn? Flashbacks.
Hoffentlich ist die Psychosomatik ein Arschloch.

18:59 Uhr.
Die Pschychosomatik ist ein Arschloch.
"Ich schreibe Ihnen einen Ambulanzschein", sagt er. Ein Händedruck (er hat weibliche Hände, denke ich. Schmal. Filigran irgendwie. Wahrscheinlich perfekt, um Blutpfopfen aus Gehirnen raus zu operieren. Oder was sie sonst so machen in seinem Fachgebiet. Man kennt das ja, wenn man Greys Anatomy guckt. Aber was drumherum an ihm noch so zu der Hand gehört, das ist so gar nicht Mc Dreamy.) und ich stehe wieder in der Sonne vor der Ambulanz. Alles ist gut, heißt das wohl. Dennoch will die Erleichterung nicht so richtig. Ich möchte in die andere Ambulanz fahren, dorthin, wo der Arzt mich damals mit dem Stempel "psychosomatisch" hat über 24 rumliegen lassen. (Dorthin, wo er mir auf den Kopf zusagte, er sei jetzt mal ehrlich und direkt, er glaube mir das nicht. Und er würde mir auch nicht abkaufen, dass ich mit dem Zeigefinger meiner rechten Hand meine Nase nicht treffen könnte. Einen Drogentest hat er gemacht. Wegen dem Schwindel und den Doppelbildern. Und die Schatten auf dem Kopf-CT? "Sie haben doch erzählt, Sie hatten als Vorerkrankung mal eine Sepsis. Bestimmt Narbengewebe von damals....") ...Ich möchte dorthin fahren und ein bisschen hysterisch werden.
In die Ambulanz-Räumlichkeiten stürmen und den damaligen Arzt zusammen schreien. ("Sehen Sie? Da sagt mir ein weißer Gott, dass alles gut ist und ich kann ihm nicht mehr glauben.")  Ja, mir ist nach schreien. Und ein bisschen rum wüten. Tropfständer umtreten oder so. (Greys Anantomy-Gucker kennen das ja.)

Aber da funktioniert die Ratio dann plötzlich doch wieder. Das würde mir mein Vertrauen nicht zurück geben. So einfach lässt sich das Gefühl, in sicheren Händen zu sein, wenn ich selbst nicht mehr auf mich aufpassen kann, dann doch nicht wieder herstellen.
Und so setze ich mich gegenüber von der Klinik vor einem Kiosk auf eine Bank. Mit einem Coffee to go warte ich dort in der Sonne auf meinen Mann. Und denke: Wie zerbrechlich das doch noch ist, dieses "Ich vertraue. Ins Leben. In mich. Und in euch, wenn ich es nicht mehr kann."

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